Hass aus dem Netz
Vielen fällt es schwer zu verstehen, dass Online- und Offlinewelt sich längst nicht mehr voneinander trennen lassen. Hass aus dem Netz wirkt sich auf unser analoges Privat- und Berufsleben als auch auf die Politik aus. Denn Hate Speech und Bedrohungen im digitalen Raum sind eine sehr reale Gefahr für die Meinungsfreiheit und für die Betroffenen.
Stell dir einmal vor, dich trifft der Shitstorm. Im Sekundentakt erscheinen neue Kommentare auf deinen Social-Media-Kanälen. Ihr Inhalt: Hass und Häme. Über E-Mail erreichen dich private Nachrichten. In der Betreffzeile: Drohungen. Dein Handy klingelt alle paar Minuten, die Nummern sind anonym. Du nimmst nicht ab. Das Display leuchtet wieder und wieder auf, weil eine SMS nach der anderen eingeht. Absender: unbekannt.
Betroffene von Hass im Netz und digitaler Gewalt haben mit vielschichtigen Folgen zu kämpfen. In einer der bisher größten repräsentativen Studien in Deutschland gaben zwei Drittel der teilnehmenden Internetnutzer*innen an, dass Hasskommentare sich negativ auf ihre Psyche auswirken. Sie nannten emotionalen Stress, Depressionen, Angst und Unruhe. Was das konkret für Betroffene digitaler Gewalt bedeuten kann:
Angstzustände: Die Psyche kann nicht zwischen online und offline unterscheiden. Digitale Angriffe sind psychisch genauso belastend wie analoge Übergriffe. Betroffene erleben häufig große Angst mit der damit verbundenen körperlichen Alarmbereitschaft.
Panikattacken: Bei Angriffen im Netz kann sich die Angst auch zu Panikattacken steigern. Diese passieren in der akuten Auseinandersetzung mit den Hassinhalten, können aber auch weit darüber hinaus belastend sein, indem sie etwa wiederholt wiederkehren.
Depression: Für vorbelastete Personen kann digitale Gewalt ihre psychischen Leiden stark verschlimmern. Aber auch psychisch gesunde Personen können durch digitale Gewalt erkranken.
Schlaflosigkeit: Wer von digitaler Gewalt betroffen ist, kann schlecht entspannen. Guter und gesunder Schlaf wird so unmöglich – mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit.
Isolation: Aus Angst vor weiteren Angriffen ziehen sich Betroffene oft zurück. Gefühle wie Scham oder Schuld sind nicht selten. So wird es umso schwerer, sich Hilfe zu holen und sich anderen anzuvertrauen. Das Sozialleben kann stark leiden und soziale Interaktionen von Angst und Unsicherheit geprägt sein.
Was Betroffenen von Hass im Netz nicht hilft, sind Ratschläge wie: „Leg das Handy mal weg und denk einfach nicht daran!“ Wer schon einmal im digitalen Raum Beleidigungen, Vergewaltigungsphantasien oder sogar Morddrohungen erhalten hat, kann das nicht einfach vergessen. Um damit umzugehen, braucht es viel Support aus dem privaten Umfeld und im besten Fall auch professionelle Unterstützung. Beratungsstellen sind hierfür eine gute Anlaufstelle.
In einigen Situationen kann es sogar gefährlich werden, Hass im Netz einfach zu ignorieren; zum Beispiel bei Dox(x)ing.
Nicht nur die eigene Wohnung, auch die Adressen von Angehörigen können gedox(x)t werden. „Hausbesuch“ stand auf dem Schild geschrieben, das der Neonazi und stellvertretende NRW-Landesvorsitzende einer neonazistischen Kleinpartei Michael Brück hochhielt. Das war im Dezember 2019. Er befand sich laut eigener Aussage vor dem Elternhaus von Danny Hollek.
Der freie Redakteur und Autor der „Aktuellen Stunde“ des WDR wurde zur tragischen Figur der Causa Umweltsau. Wer sich nicht erinnert: Damals wurde auf Facebook ein Video veröffentlicht, in dem der WDR-Kinderchor eine satirische Neuauflage von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ sang. Der Beitrag wurde im Nu in rechtsextreme Kanäle geteilt. Es folgte ein orchestrierter Shitstorm, der zum Politikum wurde. Während der aufgeheizten öffentlichen Debatte, in der selbst WDR-Intendant Tom Buhrow betonte, dass sein Vater keine Umweltsau sei und der Sender das Video sogar löschte, setzte Danny Hollek einen Tweet ab: „Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau.“
Für rechtsextreme Trollgruppen war Hollek damit ein gefundenes Fressen. Nach dem Post erhielt der Autor Morddrohungen und den erwähnten „Hausbesuch“. In einer ersten Reaktion des WDR distanzierte sich der Sender von dem Inhalt des Tweets und von Hollek. Seitdem ist er von der Bildfläche verschwunden. Hier zeigt sich, dass nicht nur das Dox(x)ing katastrophale Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben kann, fehlende Rückendeckung verschlimmert die Situation.
Dox(x)ing trifft oft Menschen, die sich öffentlich anti-rassistisch, feministisch und antifaschistisch äußern. Plötzlich ist nichts mehr wie zuvor: So sah sich die die Autorin Jasmina Kuhnke im Frühjahr 2021 gezwungen, für die Sicherheit ihrer eigenen Familie umzuziehen. Nicht immer müssen Dox(x)ing-Opfer gleich den Wohnort wechseln. Doch das Risiko muss gut abgewogen werden. Dazu sollten sich Betroffene am besten Beratung holen. Doxing sollte auch bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden. Dabei ist zu beachten, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden für manche Menschen eine größere Herausforderung darstellt als für andere. People of Color, vor allem Schwarze Menschen leiden unter diskriminierenden Strukturen innerhalb der Polizei. In dem 2020 veröffentlichten Afrozensus gaben knapp die Hälfte der Befragten an, die Polizei aus Angst vor Diskriminierung zu meiden.
Hass im Netz hat immer zum Ziel, Stimmen im digitalen Raum zu übertönen. Das schadet am Ende dem demokratischen Diskurs. Weil Hate Speech andere Meinungen und Perspektiven verdrängt, leidet die Vielfalt und auch die Wahrnehmung verschiebt sich. Haben Hatier*nnen die Oberhand, wirkt es schnell so, als dominieren ihre Ansichten nicht nur im digitalen Raum, sondern auch in der Gesellschaft. Dadurch haben sie die Möglichkeiten, andere Menschen sogar von ihrer Weltsicht zu überzeugen. Das haben wir vor allem in den vergangenen Jahren der Coronapandemie und der Kampagne der Impfgegner*innen – einer kleinen, aber sehr lauten Gruppe – erlebt.