Hass in NS-Ästhetik. Echte und „Fake“-Propaganda im Stil der 1930er und -40er Jahre auf Instagram



Im Zuge der Auswertung von Hetz- und extremistischen Propaganda-Inhalten im Netz hat sich jugendschutz.net mit Bildinhalten in NS-Ästhetik befasst.

Auf Instagram-Seiten finden sich immer wieder Profile, die durch – für jugendaffine Dienste – ungewohnte Bildinhalte auffallen. In ihrer Ästhetik sind sie (scheinbar) historisch, aus Geschichtsbüchern oder Fernsehdokumentationen bekannt: Fotografien, Grafiken oder Zeichnungen aus der Zeit des Nationalismus oder der NS-Plakatpropaganda selbst. Teils findet sich auch eigens erstelltes Material, das den Stil dieser Propaganda nachahmt. Mitunter werden Inhalte mit neuem Text in pseudo-historischer Schriftart versehen (bzw. mit einem solchen direkt generiert), über den Hass-Botschaften verbreitet werden. Die Grenzen zwischen historisch „echt“ und „fake“ werden dabei verwischt – ob ironisch oder parodistisch oder zu manipulativen Zwecken. Mit den Postings wird das Ziel verfolgt die NS-Ästhetiken und -Gestaltungsstandards als schön zu feiern, zu entpolitisieren, jedoch auch, u.a. antisemitische, völkische oder LGBTQI*-feindliche Botschaften ansprechend und reduziert zu vermitteln, ohne dass dies auf den ersten Blick auffallen mag.

Im Zuge der Auswertung von Hetz- und extremistischen Propaganda-Inhalten im Netz hat sich jugendschutz.net als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz mit Bildinhalten in NS-Ästhetik befasst und sich neben der inhaltlichen Einordnung auf die medialen Formen und Formate der Ansprache fokussiert.

Oft werden diese Retro-Inhalte ohne weitere Kommentierungen geteilt. Immer wieder finden sich jedoch auch in begleitenden Postingtexten oder in den Nutzer:innenkommentaren eindeutige Aussagen oder Anspielungen zur rechtsradikalen Einordnung. So werden die historischen Bilder etwa auf aktuelle polarisierende Themen wie Migration bezogen.

Quelle: Instagram, Original unverpixelt. Historische Aufnahmen des Reichsparteitags der NSDAP in Nürnberg werden zu Sharepics
umgestaltet.

Die Darstellungen kommen bisweilen mit eingebundener Musik und Tonaufnahmen (deutsche Soldatenlieder bis klassische Stücke Richard Wagners) daher. Bilduntertitel verstärken und machen die Aussagen explizit, die durch genutztes Bildmaterial bereits angedeutet wurden. Neben Literaturanregungen finden sich immer wieder Verweise auf andere Kanäle auf Instagram oder Telegram. Die angegliederten Kanäle auf Telegram dienen hauptsächlich der Kopie der Instagram-Seiten und sind damit inhaltsgleich. Hier antizipieren die Betreiber:innen eine mögliche Löschung der Hauptseiten, der Telegram-Kanal dient als Backup. Teilweise tauchen die Telegram-Kanäle allerdings auch tiefer in nationalsozialistische Ideologie ein. In diesem Fall fungieren die Instagram-Kanäle als Werbung, um mögliche Rezipient:innen auf das eigentliche Angebot des Telegram-Kanals zu locken.

Bei direkten Kopien historischer Propagandabilder/-plakate werden in den erstellten Sharepics eindeutige und strafrechtlich relevante Symbole entfernt oder verändert (z.B. Hakenkreuze retuschiert). So bleiben die Inhalte unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit. Auch die impliziten oder expliziten Aussagen sind betont mehrdeutig bzw. Anspielung.

Quelle: Instagram, Original unverpixelt. Ein Beispiel rassistischer Bildwahl ist auch das Titelbild der Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf. Ursprünglich zeigte die Brosche einen Davidstern, um das Bild dennoch auf Instagram teilen zu dürfen, wurde er mit dem Logo des Musiksenders MTV überdeckt.

Auch antisemitische Verschwörungsideologien oder Verweise auf diese sind Teil einiger Sharepics.
Im Freund-Feind-Schema ist der „Feind“ nicht explizit benannt; die Bildinhalte beziehen sich aber auf klassische antisemitische Darstellungen der NS-Propaganda, sodass der implizite Antisemitismus leicht zu entschlüsseln ist. Den Betreiber:innen der Auftritte sind die juristischen Grenzen der Volksverhetzung und der Verharmlosung oder Glorifizierung des Nationalsozialismus offenbar bewusst. Eindeutige und verbotene Kennzeichen werden ersetzt, während sich zahlreiche, in den Bildern enthaltenen Referenzen vergleichsweise deutlich auf antisemitische Narrative sowie ideologische Elemente des historischen Nationalsozialismus beziehen. Strafrechtlichen oder jugendmedienschutzrechtlichen Folgen auf diese Art zu vermeiden bzw. sich vor dem Löschen von Inhalten durch die Dienste auf diese Weise zu schützen, hat dabei für die Zielgruppe einen eigenen Reiz: Das Spiel mit den Anspielungen und dem Durchschauen der Codes ist zugleich vermeintlich subversives Spiel mit den rechtlichen Grenzen – die „Zensur“ der Dienste oder der Medienaufsicht wird höhnisch ausgetrickst.

Quelle: Instagram, Original unverpixelt. Der weltumspannende Krake als Beispiel antisemitischer Karikaturen. Im Vorbild der NS-Propaganda zierte den Kopf des Kraken ein Davidstern.

Die Profil-Seiten erreichen häufig mehrere Tausend Follower:innen. Bei einigen Seiten kann von einem entwicklungsbeeinträchtigenden Potenzial ausgegangen werden, insofern die verbreiteten Inhalte im Zeichen des historischen Nationalsozialismus stehen und damit Grundpfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung indirekt oder offen in Frage stellen. Besonders Kinder und Jugendliche, die sich in einer politischen Orientierungsphase befinden und evtl. bereits erste Kontakte mit rechtsextremer Ideologie und rechtsextremen Organisationen gehabt haben, können von den beobachteten Angeboten in ihrer Entwicklung zu gemeinschaftsfähigen Individuen beeinträchtigt werden. Aufgrund noch geringer kritischer Medienkompetenz kann es schwer sein, die Authentizität einzuschätzen, die Absichten bzw. verdeckte hintergründige Botschaften zu erkennen. Gleichzeitig kann das bewusst grenzverletzende Spiel mit der tabuisierten Ästhetik reizvoll wirken und die Akzeptanz demokratiefeindlicher Aussagen für die Gegenwart befördern.