Lauter Hass – leiser Rückzug
Hass im Netz kann alle treffen. Aber nicht alle gleich.
Fast jede zweite Person (49 %) wurde schon einmal online beleidigt.
Ein Viertel (25 %) der Befragten wurde mit körperlicher Gewalt und 13 % mit sexualisierter Gewalt konfrontiert.
Besonders häufig betroffen sind nach eigenen Angaben Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 %), junge Frauen (30 %), und Menschen mit homosexueller (28 %) oder bisexueller (36 %) Orientierung.
Fast jede zweite junge Frau (42 %) erhielt bereits ungefragt ein Nacktfoto.
Hass im Netz führt zum Rückzug aus demokratischen Diskursen.
Mehr als die Hälfte der Befragten bekennt sich aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung (57 %), beteiligt sich seltener an Diskussionen (55 %) und formuliert Beiträge bewusst vorsichtiger (53 %).
82 % der Befragten fürchten, dass Hass im Netz die Vielfalt im Internet gefährdet.
Mehr als drei Viertel (76 %) sind besorgt, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt.
Der Großteil (89 %) stimmt zu, dass Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen hat.
Plattformen müssen Verantwortung für Hass im Netz tragen.
86 % der Befragten finden, dass Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen.
79 % stimmen der Aussage zu, dass sehr große Social-Media-Plattformen auch finanzielle Verantwortung für die durch Hass im Netz entstehenden gesellschaftlichen Schäden tragen sollten.
Kurzinformation
„Lauter Hass – leiser Rückzug“
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Politische Forderungen
Die aktuelle Studie bestätigt in weiten Teilen: Hass im Netz destabilisiert die Grundfesten unserer Demokratie. Die Politik muss dringend handeln, um dieser Entwicklung etwas entgegensetzen zu können:
Betroffene müssen besser geschützt und unterstützt werden!
Es braucht ein bundesweites Netzwerk von spezialisierten Beratungsstellen sowie geschulte und sensibilisierte Strafverfolgungsbehörden, die Betroffene ernst nehmen und nicht abweisen. Zudem braucht es die konsequente Anwendung bestehender Gesetze auch im Netz sowie die zeitnahe Umsetzung des europäischen Digital Services Act. Außerdem müssen die Social-Media-Plattformen konsequent gegen Hass und Verstöße gegen den Jugendmedienschutz vorgehen.
Social-Media-Plattformen müssen finanziell zur Verantwortung gezogen werden!
Hass, Desinformation und Gewalt werden durch die Geschäftsmodelle der großen Social-Media-Plattformen verstärkt und richten massive Schäden für uns alle und die Demokratie an. Daher sollen die Plattformen alles dafür tun, um diese Schäden konsequent zu verhindern. Gleichzeitig müssen sehr große Online-Plattformen einen Anteil ihres Gewinns aufwenden, um die gesellschaftlichen Kosten für diese Schäden zu tragen.
Medienkompetenz und politische Bildung müssen gestärkt werden!
Zu diesem Zweck muss eine nationale Bildungsoffensive Medienkompetenz umgesetzt werden. Dafür müssen Mittel in mindestens gleichwertiger Höhe (6,5 Milliarden €) des Digitalpakts von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden.
Zielgerichtetes und konsequentes Handeln gegen Hass im Netz erfordert außerdem die Förderung bestehender demokratiefördernder, zivilgesellschaftlicher Strukturen und ein kontinuierliches Monitoring von Hassdynamiken im Netz. Bereits 2023 haben die herausgebenden Organisationen Handlungsempfehlungen für politische Maßnahmen erarbeitet.
Die Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ wurde 2023 in Auftrag gegeben. Ziel der Erhebung ist es, einen aktuellen Stand zu Hass im Netz für Deutschland abzubilden. Damit liegen erstmals seit der Studie des IDZ 2019 repräsentative empirische Daten in ähnlichem Umfang und Detailgrad vor. Befragt wurden mehr als 3.000 Internetnutzer*innen in Deutschland ab 16 Jahren.
Herausgeber*innen: Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid, Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz
Wissenschaftliche Umsetzung: pollytix strategic research gmbh (Vorerhebung: Bilendi GmbH)
Erhebungszeitraum: Oktober-November 2023 (Vorerhebung: Juli-August 2023)
Zitationsvorschlag: Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/download_lauterhass.php
Warum die Studie wichtig ist
Der Hass ist laut, der Rückzug leise
Das Internet ist der wichtigste öffentliche Debattenraum unserer Zeit. Doch das digitale Miteinander gerät zunehmend unter Druck. Viele ziehen sich angesichts von Beleidigungen, Mord- oder Vergewaltigungsandrohungen aus dem öffentlichen Diskurs im Netz zurück. Das ist gerade jetzt besorgniserregend: In diesem Jahr finden die Wahlen zum Europäischen Parlament sowie Landtags- und Kommunalwahlen in mehreren deutschen Bundesländern statt. Vor allem Rechtsextreme mobilisieren massiv in den sozialen Netzwerken und verbreiten Hass und Desinformation.
Repräsentative, bundesweite Studie
Die von Das NETTZ, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz durchgeführte repräsentative Studie zeigt, dass Hass im Netz alltäglich ist und weiter zunimmt. Es besteht dringender Handlungsbedarf, wenn wir unsere Demokratie vor dieser Entwicklung schützen wollen. Diese neue Studie ist die seit 2019 umfangreichste Erhebung zu Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz in Deutschland.
Was wir unter Hass im Netz verstehen
Es gibt zahlreiche Begriffe, um Hass und Gewalt im Netz zu beschreiben. Dabei beeinflusst die Art der Definition die Zahl der gemessenen Fälle. In der vorliegenden Studie wird die Bezeichnung „Hass im Netz“ verwendet:
Definition
„Hass im Netz bezeichnet eine Vielzahl unterschiedlicher, u. a. abwertender, entwürdigender, auf Einschüchterung zielender oder verhetzender Online-Phänomene gegenüber Personen oder bestimmten Personengruppen. Gemeint sind damit sowohl entsprechende Inhalte als auch Handlungen.“ (Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz 2023)
Hass im Netz ist mehr als die strafrechtliche Definition
Hass im Netz ist als ein Oberbegriff zu verstehen, der viele verschiedene Phänomene umfasst. Einige davon sind strafrechtlich relevant, wie Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung. Hass im Netz geht jedoch über gesetzliche Richtlinien hinaus.
Gruppenbezogener Hass
Die Begriffsbestimmung des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz schließt neben gruppenbezogenen Hassphänomenen auch solche gegen Einzelpersonen ein. Der Schwerpunkt der Arbeit des Kompetenznetzwerks wie auch der vorliegenden Studie liegt auf gruppenbezogenen Phänomenen, wie Ableismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Klassismus, LSBTIQA-Feindlichkeit, verschiedenen Rassismen, Sexismus, etc.
Zudem werden Personengruppen berücksichtigt, die aufgrund ihrer politischen Ansichten, ihres zivilgesellschaftlichen oder professionellen Engagements besonders betroffen sind, wie Aktivist*innen, Politiker*innen und Journalist*innen.
Nicht nur Text, sondern auch Bilder
Hass im Netz bezieht anders als der Begriff Hatespeech nicht nur sprachliche Äußerungen mit ein, sondern beinhaltet z. B. auch Bilder, etwa in Form rassistischer Memes oder des ungewollten Zusendens von Dickpics (Bilder eines männlichen Genitals), das Stalken in sozialen Netzwerken oder das Veröffentlichen von persönlichen Daten wie Name und Wohnadresse (Doxing).
Hass im Netz und Desinformation
Hass im Netz ist vor allem mit der Verbreitung von Desinformation, also der intentionalen Veröffentlichung und Weiterverbreitung von Falschinformationen, eng verwoben. Diese können Ressentiments und Vorurteile gegen marginalisierte oder andere Personengruppen schüren oder die Form von Verleumdung und übler Nachrede annehmen und auf diese Weise Hass im Netz befördern.
Wissen & Handeln
Mit dieser Studie möchten wir ein umfassendes Verständnis für die Dynamiken und Auswirkungen von Hass im Netz schaffen und somit einen Beitrag zur Entwicklung von effektiven Gegenstrategien leisten.
Zielgerichtetes und konsequentes Handeln in diesen Bereichen erfordert, dass bestehende demokratiefördernde Strukturen und Projekte abgesichert und weiterhin gefördert werden.
Bereits 2023 haben die herausgebenden Organisationen Handlungsempfehlungen für politische Maßnahmen gegen Hass im Netz erarbeitet.