Wer ist betroffen von Hass im Netz?

Hass im Netz gefährdet uns alle, aber nicht alle gleich

Grundsätzlich kann Hass im Netz jede*n treffen. Wir sind alle gefährdet durch einen verrohenden Diskurs im Netz, eine immer gewaltvollere Sprache sowie niedrige Hemmschwellen, Menschen online zu verletzen. Das kann schon bei Interaktionen mit Fremden auf Verkaufsplattformen beginnen, wo es keinen persönlichen oder politischen Kontext gibt. Die Hate-Speech-Forsa-Studie von 2021 hat gezeigt, dass 76 % der Befragten bereits Hate Speech im Internet gesehen haben. In der Altersstufe der 14- bis 24-Jährigen sind es ganze 98 %. Hass im Netz ist also zu einer traurigen Normalität geworden. Etwa die Hälfte der 18-35-Jährigen war bereits selbst von digitaler Gewalt betroffen.

Aber nicht alle sind gleichmäßig von Hass im Netz betroffen. Bei persönlichen Konflikten oder bei Debatten zu politischen Themen treten Diskriminierungen, die es offline bereits gibt, online umso mehr zutage. Studien zeigen, dass diskriminierte Gruppen (Schwarze Menschen und People of Colour, Queere Personen, Geflüchtete, Frauen) besonders stark von Hass im Netz betroffen sind.

Frauen sind von Sexismus im Netz betroffen

Stehen Frauen in der Öffentlichkeit und vertreten online ihre Meinung, so sind sie häufig zahlreichen sexistischen Angriffen ausgesetzt. Dabei werden weniger (politische) Inhalte diskutiert, als die Betroffenen sexualisiert und vulgär angegriffen. Herabsetzende Kommentare über den Körper und das Äußere sowie detaillierte Vergewaltigungsdrohungen sind keine Seltenheit. Ziel der Angriffe ist eine Verdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Diskurs. Diese Verdrängung ist messbar: Laut einer Studie von Amnesty International haben etwa 75 % der Frauen, die Hass im Netz erlebten, daraufhin ihr Online-Verhalten geändert. „Die Stimmen von Frauen werden geschwächt, denn diese Erfahrungen führen zu Selbstzensur und dazu, dass Frauen ihre Online-Kommunikation einschränken oder Plattformen wie Twitter ganz verlassen.“ Plan International hat eine Studie unter Mädchen und jungen Frauen (15 bis 24 Jahre) in 22 Ländern durchgeführt und sie zu ihren Erfahrungen mit Hass im Netz befragt. Die Ergebnisse sind gravierend: 58 % der Befragten gaben an, Angriffe und Belästigung im Netz erlebt zu haben. 13 % gaben an, daraufhin keine Beiträge mehr zu verfassen. Das bedeutet 13 % weniger weibliche Stimmen, Perspektiven und Meinungen im Netz und einen zweifelhaften Erfolg für die Angreifenden.

Zudem werden immer wieder Frauen in persönlichen Auseinandersetzungen von ihren (Ex-)Partnern im Netz sexualisiert, beleidigt oder mit der Veröffentlichung von intimen Fotos oder Videos bedroht. Diese Online-Angriffe bilden den digitalen Arm der häuslichen Gewalt und sind ein gesellschaftliches Problem und kein privates.

Ungleichheiten aus der analogen Welt zeigen sich digital verstärkt:

  • Frauen* sind betroffen von Sexismus, Anti-Feminismus und Misogynie
  • BIPoC sind betroffen von Rassismus 
  • LGBTQ* sind betroffen von Homophobie 
  • Jüdinnen und Juden sind betroffen von Antisemitismus 
  • Muslim*innen sind betroffen von antimuslimischem Hass
  • Sinti*zze und Rom*nja sind betroffen von Antiziganismus
  • Menschen mit Behinderung sind betroffen von Ableismus 
  • Arme Menschen sind betroffen von Klassismus 

So werden marginalisierte Gruppen online überproportional häufig beleidigt, erniedrigt und bedroht. Das bedeutet, dass der Ursprung des Hasses im Netz sich deutlich im rechten politischen Milieu verortet: Der Hate geht von Akteur*innen aus, die sich eine weiße, homogene Gesellschaft wünschen, die durch traditionelle Rollenbilder geprägt ist. Die genannten Diskriminierungsformen können sich zu Mehrfachdiskriminierung überlagern, sodass einzelne Personen von zahlreichen Diskriminierungsmerkmalen gleichzeitig betroffen sein können. Diese sind offline wie online besonders vulnerabel. 

Hass im Netz trifft die, die sich für Demokratie und eine offene Gesellschaft einsetzen

Auch Nichtbetroffene von struktureller Diskriminierung werden mit Hass konfrontiert, wenn sie sich zum Beispiel aktivistisch für benachteiligte Gruppen einsetzen. So werden etwa Blogger*innen, Autor*innen, (Klima-)Aktivist*innen, Influencer*innen etc. angegriffen.

Eine besondere Gruppe bilden hier auch Journalist*innen und Medienschaffende. 2019 gaben 59,9 Prozent der befragten Journalist*innen an, in den vergangenen 12 Monaten mindestens einmal angegriffen worden zu sein. Als besonders brisante Themen benennen die Befragten insbesondere „Migration“, „AfD“ und „Flüchtlinge“. Der überwiegende Teil der von Hass Betroffenen ordnet die Anfeindungen gegen Journalist*innen einem rechten politischen Spektrum zu (82,4 %).

Auch Politiker*innen werden zum Ziel von Hass im Netz. Dies kann von der Lokalpolitik bis zur Spitzenpolitik im Bundestag alle treffen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen. Bei der Bundestagswahl 2021 waren sexistische und rassistische Beleidigungen auf Twitter gang und gäbe. Eine Analyse der Tweets zu der Bundespolitikerin Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte deutlich, wie schnell sich die „Debatte“ von den politischen Inhalten abwendet und sich gegen Lang als Person richtet. Ihr Aussehen wird abwertend kommentiert sowie vulgäre sexualisierte Sprache verwendet.

All diese Beleidigungen, Einschüchterungen und Bedrohungen wirken: In einer EU-weiten Studie, die HateAid 2021 durchgeführt hat, gaben 52,5 % der Frauen an, sich mit ihrer Meinung im Netz zurückzuhalten, da sie Hass fürchten. So wird der demokratische Diskurs und somit die Meinungsfreiheit – mit welcher der Hass im Netz fälschlicherweise oft gerechtfertigt wird – akut bedroht.