Es ist nichts Neues, dass Kriminalitätsstatistiken sich nur bedingt (also eigentlich gar nicht) dazu eignen, gesellschaftliche Phänomene wie Rassismus, Gewalt gegen Frauen oder eben Hass im Netz zu beschreiben. Nun wurde der Bericht zu Politisch Motivierten Straftaten (kurz PMK) Anfang Mai veröffentlicht. Die Kurzfassung: 2021 war ein Rekordjahr für politische motivierte Kriminalität. Nur anscheinend nicht im Internet: Die Zahl der sogenannten Hasspostings ist nach der Statistik des BKAs sogar um 7,5% zurückgegangen, und zwar auf 2.411 Fälle.
Wer sich gegen Hass im Netz engagiert oder sich auch nur ab und zu im Internet aufhält, weiß, dass die Zahl eher einen ruhigen Dienstagnachmittag widerspiegelt, aber sicherlich keine realistische Jahresbilanz für 2021 (dem Jahr der Corona-Leugner und der Bundestagswahl).
Das Problem mit den Zahlen
Die Zahlen offenbaren damit zwar nicht das reale Ausmaß von Hass im Netz, dafür aber einige andere ganz grundlegende Probleme bei der Erfassung und Verfolgung von Hassrede und digitaler Gewalt.
Eine Vielzahl an Fällen von Hass im Netz wird nicht angezeigt und von den Behörden nicht in die Statistik aufgenommen.
Das liegt zum einen daran, dass nicht alles, was an Hass, Rassismus, Sexismus etc. im Internet gepostet wird, auch tatsächlich strafbar ist. Auch wenn solche Kommentare legal sind, schaden sie dem Diskurs und sorgen dafür, dass sich viele Betroffene aus dem digitalen Raum zurückziehen. In den offiziellen Zahlen bleiben diese Äußerungen unsichtbar.
Vor allem: Auch strafrechtlich relevante Postings werden oft nicht angezeigt oder von Dritten gemeldet. Die Gründe dafür sind verschieden: Betroffene wollen sich etwa nicht weiter mit den verletzenden, oftmals auch bedrohenden, Inhalten auseinandersetzen. Etwas zur Anzeige zu bringen erfordert aber genau das. Oder es fehlen Zeit, Ressourcen und Zugänge zu juristischer Unterstützung. Oft ist die Rechtslage für Betroffene unübersichtlich und die Berichterstattung über eingestellte Verfahren oder nicht aufgenommene Ermittlungen, auch prominenter Fälle, nicht gerade ermutigend.
Was als “politisch motiviert” betrachtet wird, ist nicht immer nachvollziehbar.
Um in der Statistik der politisch motivierten Kriminalität zu landen, muss ein Vergehen als “politisch motiviert” eingestuft werden und zwar gleich zu Anfang der Ermittlungen. Ob das der Fall ist, ist allerdings Interpretationssache der Ermittler*innen und damit besonders fehleranfällig. (Eine ausführliche Zusammenfassung der Problematik bei rechtsmotivierter Kriminalität findet ihr hier). Die Morde des NSU sind etwa nicht in der PMK-Statistik enthalten. Und Netzpolitik.org berichtete über den Fall des Politiker-Doxxers, der trotz einschlägiger Äußerungen nicht als politisch motiviert eingestuft wurde.
Viele Drohungen und Beleidigungen finden auf den Sozialen Netzwerken statt, werden aber als Direktnachricht verschickt und gelten damit nicht als Hassposting.
Eine Studie des Center for Countering Digital Hate, die im April veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass eine von 15 Direktnachrichten auf Instagram an Frauen mit hoher Sichtbarkeit (ausgewählt wurden beispielhaft fünf Frauen, darunter eine Schauspielerin, eine Aktivistin und eine Journalistin) gegen die Nutzungsregeln zu Beleidigung und Belästigung verstieß. Auch in Deutschland geschieht ein großer Teil des Hasses im Netz via Direktnachrichten. Auch sie tauchen in der PMK-Zahlen zu Hasspostings nicht auf, weil sie zwar strafrechtlich relevant sein können, aber anders in die Kriminalitätsstatistik einfließen.
Die Zahlen prägen unser Verständnis
Das Problem mit solchen Bilanzen ist nicht unbekannt. Regelmäßig wird etwa von Medien und Zivilgesellschaft auf Defizite bei der Erfassung rechter Gewalt hingewiesen. Und natürlich gibt es auch andere Quellen, um sich ein Bild von der Lage speziell im Netz zu machen. Die Meldestelle REspect und Hassmelden.de veröffentlichen zum Beispiel Erfolge und Bilanzen und es werden regelmäßig von verschiedenen Stellen Umfragen und Studien durchgeführt (Landesanstalt für Medien NRW). Und doch – die jährlich herausgegeben Zahlen des BKAs zu “politisch motivierter Kriminalität” prägen die Berichterstattung und die öffentliche Debatte zu dem Thema. Eine kritische Einordnung, am besten vom Innenministerium oder BKA selbst, ist deswegen umso wichtiger.